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BGH Beschluss vom 18.03.2021

4 StR 480/20: Urteil des Landgerichts Dortmund wegen besonders schwerer Vergewaltigung aufgehoben; Strafrichter müssen zeigen, warum der Zeuge glaubhaft ist

 

In einem Sexualstrafverfahren verurteilte das Landgericht Dortmund einen Mann wegen schwerer Vergewaltigung und anderer Sexualvergehen zu einer hohen Haftstrafe. Ausschlaggebend war vor allem die Zeugenaussage eines Minderjährigen. Doch die Beweisaufnahme war fehlerhaft: weil das Dortmunder Gericht die Aussage des 13-Jährigen nicht ausführlich genug eingeordnet hatte, hob der BGH das Urteil auf (BGH, 18.03.2021 - 4 StR 480/20).

Vergewaltigung und Körperverletzung in Hörde

Im September 2019 wurde an einer Strafkammer vor dem Landgericht Dortmund ein aufsehenerregender Fall verhandelt: Die Strafrichter verurteilten einen damals 51-Jährigen zu acht Jahren Freiheitsstrafe. Ihm wurde besonders schwere Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen, außerdem sexueller Missbrauch eines Kindes und die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen.

Der Staatsanwaltschaft zufolge hatte der Mann 2018 in seiner Wohnung am Phoenix-See in Dortmund-Hörde, südlich der Dortmunder Innenstadt, eine Bekannte schwer misshandelt und zweimal am gleichen Tag vergewaltigt. Bei einer der Vergewaltigungen waren auch zwei Minderjährige anwesend, ein damals 13-jähriger Junge und ein damals 15-jähriges Mädchen.

Die ausführliche Wiedergabe von Zeugenaussagen im Urteil ersetzt nicht ihre Würdigung

Das Landgericht Dortmund hatte in seinem Urteil den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussagen auf über 50 Seiten in chronologischer Reihenfolge und allen Einzelheiten aufgeführt. Das, so der BGH in seiner Entscheidung, wäre losgelöst von der Beweisbedeutung gar nicht notwendig gewesen. Er bemängelte jedoch die unzureichende Darstellung der Erwägungen, die die Dortmunder Strafrichter zu den Aussagen angestellt hatten.

Die Würdigung der Zeugenaussagen erschien dem BGH knapp, lückenhaft und nicht nachvollziehbar. Die bloße Wiedergabe von Aussagen ersetze nicht ihre Würdigung, schrieb der 4. Strafsenat dem Landgericht Dortmund ins Stammbuch – deutliche Worte.

13-jähriger Belastungszeuge für schwere Vergewaltigung

Das Landgericht hatte sich vor allem auf Aussagen gestützt, die der 13-Jährige als Zeuge vor Gericht, auch auf Nachfragen der Richter hin, sowie vorher gegenüber einem Erzieher und Polizeibeamten gemacht hatte. Das Landgericht kam zur Überzeugung, dass es der Angeklagte war, der dem Vergewaltigungsopfer eine leere Bierflasche und einen Besenstiel jeweils mehrere Zentimeter weit in die Vagina geschoben habe.

Das Opfer selbst hatte jedoch den 13-Jährigen als denjenigen benannt, der sie mit dem Besenstiel penetriert habe. Darin sahen die Dortmunder Richter jedoch kein Falschbelastungsmotiv, weil der minderjährige Zeuge von dieser Aussage keine Kenntnis gehabt haben „dürfte“. Außerdem beriefen sie sich auf die Aussagekonstanz: Der 13-Jährige sei im Wesentlichen bei seiner Version des Tathergangs geblieben.

Wirklich kein Motiv für falschbelastende Aussagen?

Der 4. Strafsenat am Bundesgerichtshof monierte, dass schon die mögliche, eigene Beteiligung des Minderjährigen an der Misshandlung und Vergewaltigung als Motiv für eine Falschbelastung ausreichen konnte. Deshalb hätte das Landgericht Dortmund die Aussage des 13-jährigen Zeugen viel ausführlicher bewerten müssen.

Dazu kam, dass der Jugendliche gegenüber einem Erzieher angegeben hatte, alle Anwesenden hätten sich am Tatgeschehen beteiligt und auch er selbst habe das Opfer geschlagen und getreten. Daneben verwies der BGH auf Diskrepanzen zum genauen Tathergang, die sich bei Aussagen des Minderjährigen gegenüber Polizeibeamten und einem Erzieher ergaben. Auch darauf war das Landgericht nicht ausreichend eingegangen.

Warum waren die Dortmunder Richter überzeugt, der Angeklagte sei es gewesen, der das Opfer mit Bierflasche und Besenstiel penetriert habe? Das konnte der BGH der Urteilsbegründung nicht entnehmen. Für die Schuld- und Straffrage war ein entsprechender Beleg jedoch zentral. Deshalb hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts auf und verwies es zur erneuten Verhandlung nach Dortmund zurück.

Anwalt Strafverteidiger Dortmund – Fazit bei Zeugenaussagen im Sexualstrafrecht

  • Bei einer Revision werden weder Beweise erhoben noch Zeugen gehört. Es geht nicht um die Tatsachenentscheidungen der Vorinstanz als solche.
  • Wird in der Revision jedoch dargelegt, warum bestimmte Zeugenaussagen und andere Beweise, die das Tatgericht für entscheidend hält, Widersprüche enthalten, kann die Verurteilung im Revisionsverfahren aufgehoben werden.
  • Auch Strafrichter müssen sich kritisch und eingehend mit Zeugenaussagen befassen und sind vor möglichen Fehleinschätzungen nicht geschützt. Das gilt unabhängig von möglicherweise schockierenden und brutalen Schilderungen eines Tathergangs.
  • Wesentlicher Faktor, wenn es um die Frage der Erlebnisbasiertheit einer Zeugenaussage geht, ist nach wie vor die Frage der Motivanalyse für die belastende Aussage; sprich, warum sagt der Zeuge möglicherweise die Unwahrheit?

 

Eine Revision sollte grundsätzlich nur von einem Experten durchgeführt werden. Für eine Revision im Sexualstrafrecht empfiehlt es sich, nicht nur einen Experten für Revisionsrecht, sondern einen Experten, der zugleich auch das Sexualstrafrecht beherrscht, zu beauftragen.

Rechtsanwalt Axmann ist Fachanwalt für Strafrecht aus Dortmund. In seiner Laufbahn als Strafverteidiger hat er bereits Hunderte von Mandanten gegen den Vorwurf von Sexualdelikten verteidigt und ist Experte im Sexualstrafrecht.

 

Dieter Axmann
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