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BGH, Beschluss vom 20.02.2020

5 StR 580/19 zu § 177 StGB: Sexuelle Handlungen an schlafendem Kind als „sexueller Übergriff“

 

Die Entscheidung ist auch für Handlungen an schlafenden Erwachsenen relevant

Wenn das Opfer schläft, kann es keinen Willen gegen die sexuellen Handlungen bilden bzw. äußern. Das genügt für einen strafbaren sexuellen Übergriff.

Schwerer sexueller Missbrauch und sexueller Übergriff: Revision zum BGH

Das Landgericht Bremen hatte eine Frau zu vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Vorwurf: mehrfacher schwerer sexueller Missbrauchs eines Kindes (§ 176a StGB), in einem Fall in Tateinheit mit einem sexuellen Übergriff (§ 177 Abs. 2 Nr.1 StGB). Gegen ihre Verurteilung legte der Rechtsanwalt der Frau Revision ein. Diese hatte vor dem Bundesgerichtshof jedoch keinen Erfolg (BGH, 20.02.2020 - 5 StR 580/19).

Die Frau hatte den nackten Genitalbereich ihrer schlafenden Tochter gefilmt, den Finger zwischen die Schamlippen eingeführt und die Klitoris des Kindes mit der Zunge berührt. Gemäß ihrer Aussage war ihr klar, dass dies nicht dem Willen des Kindes entsprach. Vor dem BGH ging es unter anderem auch darum, ob diese Handlungen einen strafbaren sexuellen Übergriff im Sinne von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB darstellten. Dieser Paragraf bezieht sich nicht nur auf Kinder, sondern auch auf erwachsene Opfer.

Sexuelle Handlungen am schlafenden Kind: Ausnutzen der Unfähigkeit zur Willensbildung

Für den BGH lag der Tatbestand des sexuellen Übergriffs vor: Weil das Kind schlief, war es nicht in der Lage, einen den sexuellen Handlungen „entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern“.

  • Wer durch sexuelle Handlungen den Willen des Opfers verletzt, macht sich bereits dadurch gemäß dem reformierten Sexualstrafrecht strafbar.
  • Wird der Schlaf der anderen Person als Gelegenheit für sexuelle Handlungen genutzt, um eine Auseinandersetzung mit dem möglicherweise entgegenstehenden Willen zu vermeiden, dann liegt ein Ausnutzen der Situation und damit ein sexueller Übergriff im Sinne des § 177 Strafgesetzbuch vor.

Es kommt nicht darauf an, was die Person in wachem Zustand getan hätte

Ob der Täter denkt, dass die andere Person die sexuellen Handlungen im Wachzustand zurückgewiesen hätte, ist nicht von Belang. Sexuelle Handlungen an Schlafenden sind ein strafbarer sexueller Übergriff. Das gilt unabhängig davon, was das Opfer dazu gesagt hätte, wenn es wach gewesen wäre. Entscheidend ist, dass es aufgrund seines schlafenden Zustands gar keine Möglichkeit zur Willensbildung und zur Willensäußerung hatte.

Allerdings kann der Fall dann anders liegen, wenn die andere Person ihr Einverständnis zuvor bereits klar und wirksam signalisiert hatte.

Anwalt Strafverteidigung Dortmund – Fazit bei sexuellem Übergriff gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB:

Es ist strafbar, den Willen einer Person zu missachten, der dem eigenen sexuellen Ansinnen entgegensteht (§ 177 Abs. 1 StGB). Und wenn die betroffene Person aus verschiedenen Gründen gar keinen solchen Willen bilden oder äußern kann, stellt das Gesetz dies der Missachtung des Opferwillen gleich (§ 177 Abs. 2 StGB).

Deshalb ist es strafbar, sexuelle Handlungen an einer Person vorzunehmen, die in der konkreten Situation keinen „entgegenstehenden Willen“ bilden oder äußern kann. Das gilt zum Beispiel für Schlafende, Bewusstlose oder besinnungslos Betrunkene. Die Frage, ob dieser Wille ablehnend gewesen wäre, ist genauso wenig von Belang wie das, was der Täter diesbezüglich gedacht hat oder hätte wissen müssen. Das ist der Kern von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB.

Die Willensbildung muss nicht immer komplett unmöglich sein. Liegt es am „körperlichen oder psychischen Zustand“, reicht eine erhebliche Einschränkung. Sexuelle Handlungen an stark betrunkenen Personen können auch dann strafbar sein, wenn diese noch nicht bewusstlos sind. Das Gleiche kann für Menschen mit geistiger Behinderung gelten (§ 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB).

Ein wichtiger Punkt ist allerdings die Frage, ob die Person bereits ihr Einverständnis gegeben bzw. signalisiert hatte. An diesem Punkt kann je nach Umständen die Strafverteidigung ansetzen. Deshalb kann die Abgrenzung von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB (absolute Unfähigkeit zur Willensbildung/-äußerung) und Nr. 2 (erhebliche Einschränkung) sehr wichtig sein.

Dieter Axmann ist Fachanwalt für Strafrecht aus Dortmund. Er hat bereits Hunderte von Mandanten gegen den Vorwurf von Sexualdelikten verteidigt und ist im Sexualstrafrecht spezialisiert.

 

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